Jan 3 2010

wollen und müssen

zurzu

wollen und müssen

ja, ich will!
ich wollte schon immer.

doch ab heute da muss ich,
und schon will ich nicht mehr.

ich sehe die wand,
die näher kommt, und näher…

und ich rühr‘ mich nicht…
atme ganz still.
stelle mir meinen aufschlag vor.

und wird der druck nur gross genug,
dann schaltet in mir etwas um.

wo vorher noch regungslos beklemmung war,
fließt jetzt die welt.

und ich schlage nicht auf.

nur der der fließt bin nicht ich,
denn ich werde geflossen.

eine weile lang lass ich’s geschehen,
halte distanz zu mir und der welt.

dann reichst du mir die hand
und ich wach wieder auf… greife zu…erleichterung.

da wird mir gewahr das ich verschwunden war.
und erst durch dich bin ich wieder da.

ich halte dich fest, umklammere dich.
bin ganz hier, im absolut jetzt.

und ich weiss nicht wie lang es gedauert hat,
doch ich sehe schon wieder diese wand.

die näher kommt, und näher…
und ich rühr‘ mich nicht…

atme ganz still…
und spüre genau, was ich jetzt nicht will.


Dez 9 2009

spüren

spüren
und wenn ich nicht weiss was ich brauche?
wenn ich es einfach nicht weiss – was dann?
ich weiss was ich will – natürlich.
würde ich das nicht wissen und täglich beweisen,
wäre ich vor ihnen nichts mehr wert.
doch was ich brauche geht nur mich an
und ich bin so müde mich zu beweisen.
so wende ich den blick vom spiegel ab,
weiss ich doch alles – kenn mich doch.
auch kann ich sagen es geht mir gut,
das soll ich und das muss ich auch.
doch geht es mir dabei nicht gut.
nicht gut genug.
und ich könnts nichts sagen woher ich das weiss,
ich spüre es einfach – im kern von mir.
es gab zeiten, da ging es mir so gut –
ich kannte es nicht anders.
und du sagst ich soll spüren statt wissen
und den staub von meinem spiegel wischen.
um dich herum ist alles leicht.
doch meine welt ist aus metall,
spröde und hart, kalt und schwer.
wie soll ich da etwas spüren, und wo?
und so bleib ich bei meinem wissen
und beweise mich vor jedem nur nicht vor mir.
und warte das die schwere weicht.
und warte und warte und warte…

ztrzurzu

spüren

      1. http://www.enzocage.de/mp3/bloghouse/enzo_cage_spueren.mp3

und wenn ich nicht weiss was ich brauche?
wenn ich es einfach nicht weiss – was dann?

ich weiss was ich will – natürlich.
würde ich das nicht wissen und täglich beweisen,
wäre ich vor ihnen nichts mehr wert.

doch was ich brauche geht nur mich an
und ich bin so müde mich zu beweisen.

so wende ich den blick vom spiegel ab,
weiss ich doch alles – kenn mich doch.

auch kann ich sagen es geht mir gut,
das soll ich und das muss ich auch.

doch geht es mir dabei nicht gut,
nicht gut genug.

und ich könnts nichts sagen woher ich das weiss,
ich spüre es einfach – im kern von mir.

es gab zeiten, da ging es mir so gut –
ich kannte es nicht anders.

und du sagst ich soll spüren statt wissen
und den staub von meinem spiegel wischen.
um dich herum ist alles leicht.

doch meine welt ist aus metall,
spröde und hart, kalt und schwer.

wie soll ich da etwas spüren, und wo?

und so bleib ich bei meinem wissen
und beweise mich vor jedem nur nicht vor mir.

und warte bis die schwere weicht.

und warte und warte und warte…


Nov 12 2009

wir selbst

wirs

      1. http://www.enzocage.de/mp3/bloghouse/enzo_cage_wir_selbst.mp3

ich erinnere mich…
man sagte mir einst, ich sei nicht viel.
ein nützliches schräubchen, vielleicht.
zunächst müsse ich lernen still zu stehen, das sei nicht viel verlangt.
ich würde belohnt, sei ich nur brav.
ich tat so – doch in mir wuchs beklemmung und not. und wuchs.
und als es überquoll brach ich die stille –
hob den kopf und bekam dafür ein schlag ins gesicht.
da war es… das nein.

noch bevor ich mein erstes wort gesprochen,
gab es in mir dies nein und ein ja.

und wie froh bin ich, dass ich es heute noch spüren kann.

denn irgendwann, stand ich in einem wald aus schildern, auf allen stand nein.
wohin ich auch sah, soweit ich auch lief.

und hättest du dort nicht ja zu mir gesagt, wäre ich vielleicht zerbrochen.
dann sagte ich ja zu dir – es tat so gut und öffnete in mir eine tür.

ich sagte ja zu mir und meiner unendlichkeit,
und meine welt ging auf und wurde unendlich weit.
und als ich erkanne wie gross ich wirklich bin,
nahm ich all die erwartungen an mich nicht mehr hin.
fühlst du wie ich die ungeheure kraft,
die uns menschen erst zu menschen macht?
das sie gänzlich in uns liegt,
und bei dem versuch sie von aussen zu lenken versiegt?

ich fühle sie noch – schütze sie – jeden tag.
und du?

von allem was ich wählen kann,
nehme ich mich am stärksten an.

so bewahre ich mir mein nein,
um für immer uns ja zu sagen und wirklich zu sein.


Jul 22 2009

augenblick

stdrth

      1. http://www.enzocage.de/mp3/bloghouse/enzo_cage_augenblick.mp3

Stille… Im Augenblick

Nein, nicht ganz… da fliegen noch zarte Klänge – wie Motten in Zeitlupe.

Ich suche meinen Atem, meinen Puls… und finde nur meine Fingerkuppen.

Der alte Holzstuhl ist hart, der Putz blättert ab, der Tisch ist kühl und feucht.

Das Glas des Fensters ist durchzogen von kleinen Blasen. Es ist schmutig und voller Wassertropfen.

Mein Atem kondensiert,  macht alles unscharf. Unscharf.

Unscharf sind auch meine Gedanken. Was ich denke? Nichts.

Nur selten ein Wort, oder einen Satz. Eher Wellen von Stimmung, oder blasse Farben.

Mein Augenlid schlägt – und kurz wird es schwarz. Für einen Augenblick.

In der Ecke sitzt ein nasser, grauer Pfau und rührt sich kaum… so wie ich.

Ich könnte Dir schreiben – hab es nie getan. Warum nicht?

Stillstand für den Augenblick. Ein langer, langer Blick.

Ich schau durch dich hindurch und seh dich nicht.

Ich fühl durch mich hindurch und fühl mich nicht.

Ich schrei laut auf und man hört mich nicht.

Ich schwenk den Kopf und nichts verändert sich.

War das so gedacht? War ich der Richtige, manchmal? Für einen Augenblick?

Und so schließe ich die schwere Decke um mich und weiss… jetzt wird’s kalt!

Ich hab den Punkt genau gesehen, den Umkehrpunkt. Den „Nicht-Mehr-Umkehrpunkt.

Ich lass es geschehen, lass mich treiben, sehe nicht zurück.

Treibe weg vom Licht. Weg von Dir. Weg von allem.

Hinein in ein schwarzes Loch.

Warum lass ich das zu? Warum tu ich nichts?

Ich weiss warum… nur im Augenblick, bin ich frei.

Stille… Im Augenblick
Nein, nicht ganz… da fliegen noch zarte Klänge – wie Motten in Zeitlupe.
Ich suche meinen Atem, meinen Puls… und finde nur meine Fingerkuppen.
Der alte Holzstuhl ist hart, der Putz blättert ab, der Tisch ist kühl und feucht.
Das Glas des Fensters ist durchzogen von kleinen Blasen. Es ist schmutig und voller Wassertropfen.
Mein Atem kondensiert,  macht alles unscharf. Unscharf.
Unscharf sind auch meine Gedanken. Was ich denke? Nichts.
Nur selten ein Wort, oder einen Satz. Eher Wellen von Stimmung, oder blasse Farben.
Mein Augenlid schlägt – und kurz wird es schwarz. Für einen Augenblick.
In der Ecke sitzt ein nasser, grauer Pfau und rührt sich kaum… so wie ich.
Ich könnte Dir schreiben – hab es nie getan. Warum nicht?
Stillstand für den Augenblick. Ein langer, langer Blick.
Ich schau durch dich hindurch und seh dich nicht.
Ich fühl durch mich hindurch und fühl mich nicht.
Ich schrei laut auf und man hört mich nicht.
Ich schwenk den Kopf und nichts verändert sich.
War das so gedacht? War ich der Richtige, manchmal? Für einen Augenblick?
Und so schließe ich die schwere Decke um mich und weiss… jetzt wird’s kalt!
Ich hab den Punkt genau gesehen, den Umkehrpunkt. Den „Nicht-Mehr-Umkehrpunkt.
Ich lass es geschehen, lass mich treiben, sehe nicht zurück.
Treibe weg vom Licht. Weg von Dir. Weg von allem.
Hinein in ein schwarzes Loch.
Warum lass ich das zu? Warum tu ich nichts?
Ich weiss warum… nur im Augenblick, bin ich frei

Jun 10 2009

Der Zauberwald

werwega

      1. http://www.enzocage.de/mp3/bloghouse/enzo_cage_der_zauberwald.mp3

Es war einmal ein bunter Zauberwald, dessen uralte Baumriesen mit ihren verschlungenen Lianen in einem dichten Gestrüpp von Büschen und Gräsern standen. Der weiche Waldboden war trocken und warm und alles war erfüllt von duftenden Blüten, Schmetterlingen und wilden Tieren. Und wenn morgens die Sonne aufging, wurde die Luft von einem Brausen erfüllt, in dem das Zwitschern der Vögel, das Surren der Insektenstaaten und das Rauschen der Winde sich zu einem weichen Netz versponn, in dem die Königen des Zauberwaldes geduldig lag, und über alle und jeden mit großer Liebe wachte. Sie war in wallende, weiße Kleider gehüllt und noch ganz jung, keine 14 Jahre alt. In Wirklichkeit war sie noch ein kleines Mädchen und doch hielt sie allein, all die Lebensfäden des Zauberwaldes in ihren Händen. Einst, so erzählt man sich, vor langer, langer Zeit, lag auf dem damals noch tief verschneiten Wald eine schwere Melancholie und keine Blume war je gesehen. Bis eines Tages ein schillernder Kondor über die Wipfel des Waldes flog und der Schnee schmolz, alles aufblühte und dem Wald seine Melancholie genommen war. Man sagt, er habe damals die gestalt eine kleinen Jungens angenommen und sich im Walde versteckt. Seit dem rankten viele Geschichten um den Zauber im Zauberwald, die Waschbären und Fischotter erzählten es ihren Jungen zum schlafen gehen, nicht nur Sonne und Regen brauche der Wald, seine Kraft ziehe er aus einem seltenen Lebenselixier. Nur die Tränen der Königin konnten verhindern, dass alles verdorrte und das große Kälte über das Land ziehe. Niemand hatte die Königin je weinen sehen, sie strahlte meist wie die Sonne. Doch trug sie eine schwere Melancholie in sich und behielt das als Geheimnis für sich. Jede Nacht, wenn alles glücklich und zufrieden schlief, rollte sie sich zu einem Kokon zusammen und wurde von einer bleiernen Schwere zu Boden gezogen. Dann erlöste ihr lautloses Schluchzen ein Bächlein dicker Tränen, die ihr über die Wangen in den Waldboden liefen. Jede Nacht brach es so aus ihr heraus. Sie war noch so jung und noch nicht kräftig genug um diese Bürde zu tragen. Die Schwere zog sie Nacht für Nacht tiefer zu Boden, raubte ihr bald alle Freude am Leben und machte sie kalt und leer. Und eines Nachts, nachdem sie für Stunden nur geweint hatte und ihr Schluchzen schon weit zu hören gewesen war, zerbrach etwas in ihr, sie öffnete ihren Kokon in schwarzer Nacht und hatte seit dem ihr strahlen verloren. Grau und kraftlos saß sie auf dem Boden des Zauberwaldes und die Tiere des Waldes kamen herbei. Doch keines konnte ihr helfen, keines konnte sie heilen. Sie hatte einfach keine Tränen mehr übrig und der Wald schien seinen Zauber zu verlieren. Und von diesem Tag an, fiel kein einziger tropfen Regen mehr und die Königin sah zu, wie erst die Gräser verdorrten, dann die Büsche und bald auch die stolzen, großen Bäume. Die Tiere des Waldes suchten das Weite, da es jeden Tag kälter und kälter wurde. Als der erste Schnee fiel rollte die Königin sich wieder zu einem Kokon zusammen und war als weiße Kugel unter der wachsenden Decke aus Schnee bald kaum mehr zu sehen. Kein Tag verging an dem sie nicht versucht hatte zu weinen, doch fehlte ihr dazu die Kraft. Als nach ein paar Wochen in all der Eiseskälte nichts mehr übrig war vom Zauberwald und die junge Königin einsam, halb erfroren und eingerollt im ewigen Eis ans sterben dachte, hörte sie ein eigentümliches Geräusch, dass sich vom Zischeln der Schneeverwehungen abhob.

„Hicks!“ und noch einmal „Hicks!“ Sie öffnete vorsichtig ihren Kokon und steckte ihre Nasenspitze heraus. Ein torkelnder Pinguin mit feuerroter Pudelmütze und kleinem Rucksack kam in Schlangenlinien auf sie zu. Mit viel Eifer, jedoch wenig Geschick versuchte er ein eisenbeschlagenes Holzfässchen vor sich her zu rollen. Verwundert öffnete die Königin weit ihre Augen und reckte den Hals. Der Pinguin sah derart putzig aus in seinem vornehmen Pudelmützenfrack, dass sie für einen Moment die Kälte in ihren Knochen vergaß. „Wumms!“, rief er laut aus, als er das Gleichgewicht verlor und zur Seite umkippte. Alle Viere von sich gestreckt, lag er ein paar Pinguinatemzüge lang auf dem Rücken. Dann rief er laut „Budderbrooooooot!!!“ und zauberte damit ein Lächeln auf das Gesicht der Königin. Dann zog er alle viere wieder zu sich, verharrte so einen Moment, rief „uuuuuuund…“ und sprang mit viel Schwung wieder auf seine Füße „Schnapppps!!!“, und ruderte nach Gleichgewicht mit seinen Stummelflügeln. Noch sehr wacklig auf den Füßen, nuschelte er „Budderbroot mit Schnapps!!“ und versuchte sich, etwas erschöpft, auf seinem Fässchen abzustützen, was prompt davon kullerte und ihn wieder, wie einen Mehlsack vorn über umfallen ließ. Die Königin durchfuhr einen Ruck, so als wollte sie den Pinguin noch schnell stützen, doch war er dazu viel zu weit weg. Dann lachte sie kurz auf und rief: „He duuu…“ Der Pinguin war so unglücklich umgefallen, dass sich sein spitzer Schnabel tief ins Eis gebohrt hatte und nun feststeckte. Er antwortete „Hmmhmmhmmhmm!!!!!“ Und die junge Königin lachte. „Na da sind wir wohl umgefallen!!!“, und stand auf, um dem Pingin hoch zu helfen. Doch der machte sich aus der verzwickten Situation einen Spaß und fing mit den Füßchen an zu paddeln, so dass er sich immerzu im Kreis um seinen Schnabel drehte und rief dabei „Uuuuiuuiuiuiiiuiiiuiiiii!!!“. Und die Königin lachte und lachte und konnte gar nicht mehr aufhören. Bis er aus dem Kreislauf ausbrach, auf sie zu glitt und auf allen vier Buchstaben sitzend etwas schielend stotterte „Budderbrooot mit Schnappps!““ und der Königin dabei vor lauter lachen eine Träne die Wange herunter lief. Ein warmer Wind fuhr durch ihre wallenden Kleider. Sie wischte sich vorsichtig die Träne ab und hielt sie vor sich in den Wind. Ein kleiner glitzernder Tropfen lag auf ihrem Finger. Und ganz langsam, wie einen junges Küken balancierend, führte sie ihren Finger zu Boden und ließ die Träne im Eis versickern. Und augenblicklich schmolz das Eis und ein Loch entstand, dann ein Kegel, dann ein ganzer Krater, der auch bald blanken Erdboden frei legte und der wuchs und wuchs und wuchs. Im Nu standen die Königin und der Pinguin auf fester Erde, aus der Gräser und Blüten sprießten. Und sie lachte laut auf vor Glück und der Pinguin rief „Budderbroooooot“ und ihr liefen Freudentränen über die Wangen.

Ein paar Wochen später stand der Zauberwald schon wieder in seiner ganzen Pracht, ganz wie früher und schöner da. Die Königin und der Pinguin mit der feuerroten Pudelmütze waren dicke Freunde geworden und hatten gemeinsam einen kleinen Wanderzirkus aufgemacht. Gemeinsam mit dem Löwen, dem Schaf, der Giraffe und der kleinen Feldmaus zogen sie durch den Zauberwald, führen Zaubertricks und allerlei Unfug auf und hatten dabei einen Riesenspaß. Und manchmal, da weinte die Königin ein paar Freudentränen. Und als einmal ein kleiner Junge den Zirkus besuchte und die Königin vor Freude weinen sah, lachte er und verwandelte sich in einen schillernden Kondor und brach auf.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie alle heute noch, im Zauberwald.


Mai 13 2009

das ritual

ritual

      1. www.enzocage.de/mp3/bloghouse/enzo_cage_das_ritual.mp3

Herr Dienstweg kam völlig ermattet von der Arbeit nach Hause. Die Aschefabrik war der Ort seiner täglichen Niederlagen. Vorbei am wuchernden Efeu kämpfte er sich zur Wohnungstür, zur letzten Stätte der Sicherheit, dem Haus am Rande der Stadt. Die Glocke, die kläglich zu bimmeln begann, als er die Tür öffnete schubste ihn in eine bewusstlose Lethargie. Die Pflicht des Tages war ausgestanden, doch nun begann der zweite Teil seines Lebens, der auf seine Art schmerzhaftere Teil. Das antriebslose Warten.

Pünktlich wie ein Uhrwerk verließ er jeden Tag das Haus und fand wieder zu ihm zurück. Das war sein Leben, sein Ritual. Es gab keine Verzögerung, keinen freien Tag, es gab keine Familie, keinen Besuch, keine Freunde. Die wenigen Nachbarn die er hatte, ignorierten ihn, machten sich nicht einmal die Mühe den Blick abzuwenden, sie sahen einfach durch ihn durch – als wäre er gar kein Mensch. Er lebte völlig isoliert im Haus am Rande der Stadt.

Herr Dienstweg schloss die Tür hinter sich und noch bevor die Glocke sich endlich beruhigt hatte lag er schon auf seinem verschlissenen Sofa. Ein paar alte Uhren tickten. Er presste die Augen zu und versuchte die kalten Wellen, die durch seinen Kopf schlugen zu unterdrücken und stattdessen absolute Leere herzustellen. Darin war er gut. So lag er eine Zeit lang da – regungslos. Sein Atem wurde schwächer, die Kälte wich aus seinen Kleidern. Nach und nach kehrten wieder Bilder in seinen Kopf zurück, doch verändert. Statt dem rauschigen Schwarzweiß  tanzten nun schwache Pastelltöne. Unbeweglich lag er da. Er hatte den Tag überlebt.

Nach einem bescheidenen Abendessen und einem langen Blick auf eine schmutzige Wand setzte er sich an seinen Schreibtisch, zog ein weißes Blatt Papier hervor, füllte seinen Füllfederhalter auf, schubste eine vertrocknete Fliege von der Tischplatte und stellte die Utensilien, die er zum schreiben benötigte exakt an ihren Platz. Dann richtete er seinen Blick wieder auf die Wand.

28. November

Die Arbeit war schrecklich wie immer. Herr Druck und seine Mannschaft haben mich wieder gedemütigt. Ich werde morgen vor meinem Vorgesetzten sprechen müssen. Ich schaffe das nicht, es muss sich etwas ändern. Das alles könnte noch hundert Jahre so weiter gehen und ich würde einfach daran kaputt gehen und sterben. Diese Welt ist unfassbar störrisch – unveränderbar. Wenn man versucht etwas zu bewirken verkrampft sie sich und ist noch unverrückbarer als vorher. Warum kann ich nichts bewegen? Ich schaffe nicht einmal die nichtigsten Dinge. Meine Arbeit saugt mich aus und wenn ich in mein Sofa falle bin ich kraftlos und tot. Wie lange schiebe ich es eigentlich schon vor mir her den Efeu zu beschneiden? Man kommt kaum noch ins Haus und was denken wohl die Leute über einen solch überwuchernden Garten. Also, hiermit beschließe ich morgen den Efeu zu beschneiden, das mache ich gleich anschließend an die Arbeit, damit ich keine Zeit vergeude.

>          Entzückt von der Tatsache das er einen Entschluss gefasst hatte wurde sein Körper von einem Rinnsal der Kraft durchflossen.

Und wenn ich gleich dabei bin könnte ich mich auch noch um das Dachfenster kümmern. Wenn ich es sofort gerichtet hätte, hätte ich mir fünfzigmal das Ausleeren vom Wasserkübel sparen können. Die Arbeit ein neues Milchglas einzusetzen ist dagegen harmlos. Nur im Keller das Glas zurechtschneiden, der Zettel mit den Maßen müsste noch unten liegen und dann noch einsetzten. Warum habe ich das so lange aufgeschoben?

>          Ein zweites Rinnsal gesellte sich zum ersten und fragte: “Was machst du denn hier?“ Das andere antwortete: „Keine Ahnung, bin auch neu hier!“

Was mich wirklich ärgert sind die frechen Kinder, die mir ständig Müll in den Garten werfen. In deren Alter hätte ich es niemals gewagt mich über Erwachsene auf solch eine Weise lustig zu machen. Ich hätte viel zu viel Angst davor gehabt, dass sie einmal rauskommen und mich verprügeln. Aber mit mir kann man es ja machen, ich werde sie nicht verprügeln und das scheinen sie zu spüren. Aber erschrecken kann ich sie doch wenigstens. Wenn die Lauser morgen wiederkommen springe ich hinter einem Busch hervor und schreie ihnen hinterher, dass ich die Polizei gerufen habe, dann dürfte ich die los sein.

>          Ein Rinnsal der Macht gesellte sich zu den beiden. Die drei verstanden sich auf abhieb und scherzten ausgelassen ob sie zusammen das Staatsoberhaupt stürzen, oder lieber gleich die Weltherrschaft an sich reißen sollten.

Herr Dienstweg senkte den Kopf. Er dachte an das unangenehme Gespräch, dass ihm morgen in der Aschefabrik bevorstand und ihm fuhr ein Stich in den Magen. Er kannte diese Gespräche und wusste, was sie mit ihm anstellten. Aber anstatt zu resignieren und einfach abzuwarten stellte sich etwas in ihm quer, etwas das ihm Kraft verlieh. Ein Feuer der Auflehnung entfachte in ihm. Diesmal würde er keine fremde Schuld auf sich nehmen und reinen Tisch machen. Er würde alle Vorwürfe zurückweisen und an seine langjährige, gute Arbeit erinnern.

>          Die drei Rinnsale bekamen Unterstützung von einem Bächlein der Hoffnung, dass mehr Wasser führte als alle drei zusammengenommen. Das Bächlein sprach: „Freunde, ich glaube, es wird Regen geben.“

Warum soll ich Herrn Druck und anderen eigentlich decken? Die sind sich so sicher, dass ich mich nicht wehere, dass sie mich sogar morgens noch lachend begrüßen können. Diese Schweine! Morgen werde ich auspacken. Ich werde meinen Vorgesetzten klipp und klar darlegen, dass nicht ich derjenige bin, für den er mich hält, aber ich werde es nicht an die große Glocke hängen. Vielleicht bekomme ich sogar meine Überstunden bezahlt. Die Jungs werden sich wundern. Ich werde auspacken.

>          Und es gab Regen. Noch kam er zögerlich, wie absinkender Nebel in der Mittagshitze.

Herr Dienstweg stand auf und blieb vor dem Tisch stehen, an dem er geschrieben hatte. Eine Antike Tischlampe aus Kupfer warf einen scharfen Kreis aus Licht auf seine Schrift. Er liebte dieses Bild – ein Stillleben. Es war für ihn wie eine sanfte, schwebende Musik. Alles stand an seinem Platz, an dem Platz an dem es schon so viele Jahre gestanden hatte und er dachte wieder den alten Gedanken. Sein Schreiben. Er hatte immer geschrieben, doch niemals etwas vollendet. Er besaß nichts außer einem Stapel beschriebener Blätter ohne Zusammenhang. Er hatte sich immer so gewünscht schreiben zu können – nach Hause zu kommen, sich an seinen Roman zu setzen und erst nach sechs Stunden von der Müdigkeit geweckt zu werden. Er wünschte sich etwas zu hinterlassen, etwas das ihn ausmachte, so als ob sein Leben nicht ohne ihn stattgefunden hätte. Und er wusste, dass alles was er sich wünschte auch in ihm steckte, nur verborgen und unterdrückt. Verdrängt von einer Gesellschaft, die ihn in einer vorgestanzten Schablone gepresst hielt und keine Notwendigkeit für wohlbefinden sah. Gelähmt durch eine Hierarchie, an der er nichts ändern konnte. Doch hatte er immer noch ein Stückchen Freiheit. Was er tat, wenn er die schwelle seiner Haustür überschritt entzog sich dem Einfluss dieser kalten Welt. Dies war ein Moment, in dem sein Wille stark war. Herr Dienstweg glaubte jetzt an die Möglichkeit seine Zukunft zu leben. Es mußte möglich sein die lähmende Welt da draußen zu vergessen und sich hier drin eine eigene zu bauen. Es lag an ihm. Wenn sein Wille nur stark genug war. Und er beschloss seinem Schreiben höchste Priorität zu geben. Nichts sollte ihn mehr ablenken, keine Lethargie mehr hemmen. Ab morgen würde er alles das schreiben, was in ihm steckt, alles was nie heraus durfte.

>          Der sinkende Nebel hatte sich zu vollen Tropfen geformt, die, als sie auf den trockenen Boden fielen, platzen wie überreiche Früchte und sich in viele kleine Splitter teilten, die wie russische Tänzer in allen Farben auseinander stoben. Man konnte es riechen, der Monsun zog schon über die Berge.

Und da war wieder dieses Gesicht, der Blick der ihn schon so lange fesselte. Sie war ein Teil seines Lebens geworden, obwohl sie noch kaum ein Wort gewechselt hatten. In seiner Vorstellung, lebte er schon lange mit ihr, ohne, dass sie es je bemerkt hätte. Wie oft hatte er sich gewünscht ihr all das zu sagen, was in seiner Einsamkeit keiner hören konnte. Einmal in der Woche konnte er sie sehen und oft hatte ihn dieser Moment die Tage überstehen lassen. Es musste einen Weg geben ihr das zu sagen. Er hatte ihr so vieles so erzählen.

Ein Brief. Nur ein Brief war in der Lage dieses Schweigen zu brechen. Er würde ihr ein Kuvert zustecken, dass die Brücke über all das nicht Ausgesprochene schlagen würde. Sie würden sich treffen und es würde einen Anfang geben. Das alles könnte passieren und nur ein paar Zeilen waren dazu notwendig. Es erschien ihm so leicht. Wie konnte etwas so leichtes bisher so schwierig gewesen sein. Und schon durchströmte es ihn von Formulierungen, die alles in Bewegung setzen würden. Ja, er würde diesen Brief schreiben, einfach weil er nichts verlieren konnte.

>          Heftiger Regen peitschte nun die Steppe. Überall sammelte sich Wasser und bahnte sich kraftvoll seinen Weg zur Küste.

In seiner Erregung bäumte er sich auf, wagte einen Blick in den Spiegel und sah tief unter sich das Männlein, das täglich gesenkten Kopfes seinen Weg zur Fabrik nahm. Wie lächerlich erschien ihm sein tägliches Unterwerfungsspiel. Jetzt hatte er alles um auszubrechen. Die Gitterstäbe des Fabrikgeländes erschienen ihm wie dünne Ästchen, die allein sein Atem wegfegen konnte. Warum ließ er das mit sich machen? Wie konnte eine so kleine Welt ihm Anweisung geben? Er wusste, dass er alles tun könnte, doch was er bis heute getan hatte war nichts außer der Fabrik zu dienen. Das war absurd. Er konnte sich doch mit allem, was in ihm steckte, durch das Leben schlagen wie es ihm beliebte. Es gab tausend Wege sich frei zu machen, tausend Existenzen jenseits dieses Siechtums. Alles was ihm noch im Wege stand war die Entscheidung sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und nicht die Triangel in einem gigantischen Orchester unter einem depressiven Dirigenten zu spielen. Es lag in seiner Hand. Sein Wille war ihm der Schlüssel Burgtor, dass ihm die Wächter nie öffnen wollten, doch jetzt lag er ihm der Schlüssel leicht in der Hand. Bei Tagesanbruch würde er sein Lager verlassen, vor die Wächter treten und ihnen mit Stolz ins Gesicht sagen das er die Entscheidung gefällt habe, die Burg für immer zu verlassen, von nun an keinem Herrn, keinem Fürsten und keinem König mehr zu dienen und sein Glück in der Welt da draußen aufzusuchen, um mit ihm alt zu werden.

>          Tausend Stürme tobten. Die einst noch dürre Welt wurde erschlagen von Regengüssen, die alles mit sich rissen, was sich ihnen in den Weg stellte. Reißende Flüsse gruben tiefe Narben in den Savannenboden und schwemmten den von der Sonnenhitze glühenden Sand hinunter zum Meer, um ihn für immer zu ertränken. Das von aufzuckenden Blitzen erleuchtete Inferno wurde begleitet von schwarzen Wolkenmassen, hoch wirbelnder Gischt, zerbrechenden Zypressen, und dem Stöhnen von nackten Sehnen in blutgetränkten Orkanwinden.

So ließ sich Herr Dienstweg in sein Bett fallen, betäubt von Euphorie, den kostbaren Moment des Glücks auskostend. Die Nacht war stürmisch, seine Träume bunt und wild. Grrrrrrrrrrrrrrrr! 5.30 Uhr. Der Wecker schubste ihn in das Ritual. Mechanisch stand er auf, zog sich ohne nachzudenken an, machte sich ein Wurstbrot und verließ das Haus…

>          …und eine pralle, goldgelbe Sonne brannte wieder auf den ausgedörrten Savannenboden.

[ geschrieben am 28.11.1995, überarbeitet und gelesen 13.05.2009 ]


Apr 29 2009

die elster

elsfzu

      1. http://www.enzocage.de/mp3/bloghouse/enzo_cage_die_elster.mp3

Irgend etwas hatte E aus dem Schlaf gerissen und wie so oft war er dann mechanisch durch die Nacht gelaufen, immer die selbe Strecke, immer mit der selben inneren Unruhe. Orientierunglos aus Gedanken hochschreckend blieb er abrupt stehen. Er stand vor einem Burgtor, was ihn erschreckte, denn er war sich nicht bewusst gewesen, dass eine Burg in seiner unmittelbaren Nachbarschaft existierte. Alles war Menschenleer und das weit offen stehende Tor unbewacht. Der Himmel über ihm war kalt und sternenklar und obgleich er äußerlich sicher wirkte, zögerte er innerlich. War es eine seine inneren Stimmen gewesen, die ihn gerufen und hierher geführt hatte? Oder war es die zermürbende Unsicherheit gewesen, die seit jeher an ihm zerrte? Zweifelsohne war er angekommen, stand dem schweren Tor exakt zugewendet und verharrte regungslos. Und ohne einen initialen Gedanken, ohne jeden Anlass, kippte er ganz leicht nach vorne, hob einen Fuß und wie ein langsam und in absoluter Windstille fallender Flaum durchschritt E das Tor, das sich lautlos und geschmeidig hinter ihm schloss. Das innere der Burg war nur spärlich mit qualmenden Petroleumlampen beleuchtet und seine Schritte auf hartem Boden wurden vom Mauerwerk hin und her geworfen. Mehr durch etwas an gesogen, als durch eigenen Antrieb, bewegte er sich durch ein labyrinthtisches Gewimmel von Sälen und Gängen, bis er nach langem Herumirren in einem Ballsaal eintrat und schon aus weiter Ferne erkannte, was ihn anzog. Er schritt geradewegs auf einen mannshohen, schweren Kristallspiegel zu, der, einer Sonne ähnelnd, in der Mitte ein Oval und aussen herum, spiraliert zahlreiche, silbergefasste Strahlen zeigte. Aus seinem Zentrum schien ein komplexer Ton, gleich einem Chor, heraus zu dringen, der vom Wesen her rührend rein und schön war. Als E sich bis auf ein paar Schritte genähert hatte und sein Bild den Spiegel vom Scheitel bis zur Sole ausfüllte, blieb er stehen. Die ihm entgegenquellende Wolke aus weichem Klang umschmeichelte ihn wie eine flauschige Decke. E blickte regungslos in sein eigenes, fahles Gesicht, seine Schritte verhallten und die Welt erstarrte. Nur noch sein Brustkorb hob und senkte sich im Einklang mit dem atmenden Chor. Lange stand er so da. So lange bis seine Wahrnehmung zusammen schmolz und er gleichsam Blind und Taub zu taumeln begann, als plötzlich eine Stimme zu ihm sprach. Eine unbekannte innere Stimme, glasklar, ihm irgendwie bekannt vorkommend, weiblich, vertrauenserweckend und warm. „Alles wird gut! Du bist nicht verurteilt. Das sind alles nur Phantasien und Wahnvorstellungen von Dir. Die Bedrohung ist nicht real! Du bist nicht verurteilt!“ Eine lange Stille folgte, bis E bemerkte, dass er mit aufgerissenen Augen da stand, ohne etwas zu sehen. Er konnte nicht einmal feststellen, ob es hell oder dunkel war. Und erst als sein Kopf einen kleinen, seitlichen Ruck machte, kehrte das Bild zurück und er stand wieder vor dem Sonnenspiegel, nur deutlich näher als vorher, so dass sein durch den Schrecken anschwellender Atem am Glas des Spiegels kondensierte und er aus einem Gefühl der Bedrängnis heraus rückwärts schreitend Abstand nahm. Der Spiegel hatte jede Anziehungskraft verloren. E sah über seine Schulter, drehte sich im gehen um und lief weiter, hallenden Schrittes weg vom Spiegel, egal wohin, nur einfach weg. In dem Gewirr aus leeren Gängen, Räumen und Sälen lief er scheinbar willkürlich herum, obgleich er bei jeder Abzweigung eine eindeutige Präferenz für den einen oder eben anderen Weg hatte. Ohne zu wissen wohin er lief, war er sich sicher den Weg zu kennen. Irgendetwas führte ihn. Seine Gedanken kreisten dabei um das, was er vor dem Spiegel vernommen hatte. Er war verwirrt. Suggerierte ihm die Stimme doch, dass er sich als verurteilt wahrnahm, was nicht der Fall war. Im Gegenteil, er suchte lange und angestrengt nach Erinnerungen von Situationen, in denen er einmal als verurteilt hätte gelten können, doch nichts… er wurde nicht fündig. Er war nie verurteilt worden, von niemandem. Und falls doch, so hatte er zumindest keine Erinnerung daran. Was ihn aber noch mehr verunsicherte war das Gefühl, die beruhigenden Worte der Stimme dankend annehmen zu wollen, ja annehmen zu müssen. Wie konnte er etwas annehmen, das Voraussetzungen beinhaltete, die gar nicht zu trafen? Wie konnte er sich beruhigen lassen, wo jeder Anlass einer Beunruhigung fehlte? Er war weder verurteilt, noch fühlte er sich danach! Und er hatte auch keine Wahnvorstellungen diesbezüglich. Eine Verurteilung findet statt, wenn ein soziales Gebilde ihren Konsens über die Missbilligung einer Handlung eines ihm zugehörigen Individuum kommuniziert. E war ein zurückgezogener Mensch, der ein ruhiges Leben in Tolleranz und Distanz zu seinen Mitmenschen führte. Konflikte gab es so gut wie nie. Doch jetzt, nachdem der Spiegel ihm deutlich und glaubhaft vermittelt hatte, dass er nichts zu befürchten hatte, weil er gar nicht verurteilt sei, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Er war wie befreit von einer Last, die ihn schon lange zu erdrücken drohte. Die Erleichterung ist real, dachte E, schnellen Schrittes und riss gerade noch rechtzeitig die Hände hoch, um nicht ungedämpft gegen sich selbst zu prallen. Erschrocken und laut atmend blickte er in seine eigenen Augen. Er stand verdoppelt im Zentrum eines gewaltigen, kreisrunden Saales mit ausgekleidet schwerem, marmornem Ornament, der in seiner Mitte von einem perfekten Spiegel halbiert wurde, so dass die verblüffend glaubhafte Illusion entstand, E stünde in einem runden Saal seinem eigenen Doppelgänger gegenüber. Ein tiefes Brummen lag wie Nebel am Boden. Er verstand sofort, dass der Raum in Wirklichkeit nur halbrund war und erst der nahtlose, vom Boden bis zur Decke reichende Spiegel den Eindruck eines kreisrunden Raumes erzeugte. Doch wenn er die Nahtstelle suchte, an der Spiegel und Parkett aufeinander traten, um die Illusion zu entzaubern, wurde er nicht fündig. Der Spiegel war perfekt und widererwartend lauwarm. Dazu unnatürlich glatt, so als erzeuge er bei Berührung keinerlei Reibung. So ein Material hatte E noch niemals befühlt. Es dauerte eine Weile bis er seiner eigenen Wahrnehmung vertraute und glaubte was er fühlte. Als er mit seinen Fingerkuppen die Kante zwischen Spiegel und Boden nachfuhr, wurde ihm Schwindlig. Ihm war, als würde er visuell etwas bedrohliches fixieren, dass er auch mit faustgeballter Konzentration nicht identifiziert bekam. Als würde dessen Wesen sich dem schmalen Spektrum seiner verfügbaren Kategorisierungsmöglichkeiten entziehen. Wie ein Etwas aus einer fremdartigen Welt, das in Raum und Zeit versetzt, Zeuge eines unerwünschten Beobachters wird und sich nicht zu erkennen gibt. E trat zurück. Er hob die Hände, spreizte die Finger und betrachtete seine Handflächen. Dann führte er die beiden Zeigefinger exakt zusammen, so dass ein Fingerabdruck dem anderen präzise auflag. So neigte er den Kopf und glitt zu Boden, fiel auf die Knie und presste seine gepaarten Zeigefinger mit Kraft auf das Parkett und fuhr eine gerade Linie mehrmals von ihm weg und wieder zu ihm zurück. Währenddessen fühlte er in sich hinein. Dann sprang er mit einem Satz zurück zur Spiegelwand und presste einen Zeigefinger erneut in die Kante zwischen Spiegel und Boden und bewegte den Finger an der Kante entlang hin und her. „Das gleiche Gefühl!“, flüsterte er. E war überzeugt, das was er hier berührte kein Spiegel war – er berührte sich selbst. Auf eine unerklärliche Weise war er doppelt hier und berührte seine eigene Hand. Da sagte eine Stimme „Die Elster!“. Es war die gleiche glasklare, innere Stimme, die E vor dem Sonnenspiegel gehört hatte, nur klang sie nicht mehr wohlwollend und beruhigend, sondern scharf und bestimmend! Das Brummen begann zu wabern und E schossen Bilder durch den Kopf. Lichtes Unterholz, ein Pfeil, einige Kinder, ein Vogel, ein Stein… Jetzt erinnerte er sich. Er hatte als Kind einmal Jäger und Sammler gespielt und war mit selbst gebastelten Bogen zusammen mit Kindern aus seinem Hof in den Laubwald hinter den Feldern gelaufen. Gleich bei einem der ersten Versuche traf er einen Vogel der hoch auf einem Ast saß und als dieser kreischend vor seinen Füßen zappelte, war nicht E es, der den Vogel mit einem großen Stein erlöste, er konnte es nicht, es war sein älterer Freund Sebastian gewesen, der bereits Erfahrung mit dem töten von Fischen hatte. Und obwohl ihn Damals niemand dafür zur Rechenschaft gezogen hatte, Kinder vergessen schnell, blieb das schreckliche Gefühl dieses Moments doch in seinen Knochen stecken und wuchs über die Jahre zu seinem ständigen Begleiter, der ihn hart und unruhig werden ließ. „Danke!“ flüsterte E impulsiv, ohne zu wissen, wie er das meinte, oder mit wem er redete und legte sich erschöpft auf die Seite und hörte dem Brummen zu, dass in Wellen von den Wänden prallte und schloss die Augen. Stunden verstrichen. Irgendwann schlief er wohl ein. Es sollte ein langer und befreiender Schlaf werden, ein Schlaf, nach dem er sich so lange gesehnt hatte.


Apr 15 2009

der ungeteilte raum

ubg

Es geschah an einem Freitagabend. Henrik befand sich auf dem Heimweg, er hatte eine anstrengende Woche im neuen Büro überstanden und wollte nur noch schnell ein paar Besorgungen machen, als ihm in einem Einkaufszentrum ein kleiner, Strohblonder junge in den Weg trat und ihn abrupt zum stehen brachte. Mit ernster Miene streckte der Kleine Henrik seine Hand entgegen und sagte mit großer Entschlossenheit „mitkommen!“. Henrik griff ohne zu zögern die Hand des kleinen, der fest zupackte und ihn im Laufschritt durch die Menschenmenge zerrte. Henrik war so verdutzt von der Kraft, die von dem kleinen Jungen ausging, und so beschäftigt damit, gebückt wie er lief, niemanden um zu rämpeln, dass er bevor er auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, schon durch ein paar Türen auf einen merkwürdig geformten Spiegel zu lief, der ihn je näher er ihm kam umso stärker an sog, so dass er mit ganzer Kraft hinein sprang. Doch statt dem erwarteten, schmerzhaften Aufschlag spaltete sich die Welt in ihre Einzelteile, sein Körper und alles um ihn zerbarst zu weißem Pulver, das scheinbar magnetisch, sich in Bruchteilen von Sekunden zu einer neuen Ordnung zusammensetzte. Es war der blitzschnelle Übergang zweier universeller Ordnungen und jedes Staubkörnchen schien seinen Platz zu kennen, schien zielstrebig um sich herum kraftvoll Struktur zu schaffen, um auf unfassbar elegante Art und Weise aus unendlichem Chaos, kristalline Symmetrie und vollendete Schönheit zu zaubern. Und als wäre nichts gewesen, fand sich Henrik plötzlich in einer gigantischen Halle wieder. Das verrückte war, dass er in vollem Bewusstsein, was soeben geschehen war, das Gefühl hatte, sich hier ganz und gar eingelebt zu haben. Als wäre hier sein zu Hause, seine Heimat, dieser Moment völlig normal und als wäre alles, was ihn ausmacht an seinem Platz. Gemütlich sitzend, sah er sich um. Stühle. Überall dieselben Stühle. Die Halle reichte bis über den Horizont. Die Decke, falls das eine Decke war, lag Kilometer hoch. Vor ihm stand eine Art Sägewerk und nebenan lag ein Waldrand. Es duftete nach frischem Holz. Überall liefen geschäftige Leute herum, die aussahen wie Baumarktmitarbeiter, mit praktischen Latzhosen. Henrik fühlte sich wunderbar. Hier war es hell und gemütlich. Seine Hand befühlte das weiche Holz seiner Stuhllehne. Er saß bequem und sicher auf einem der Millionen Stühle, die hier offensichtlich gefertigt wurden. Er musste sich in einer futuristischen Fabrikhalle befinden, mutmaßte er. Da kam auch schon einer der Mitarbeiter auf ihn zu, reichte Henrik auf eine sonderbare Art die Hand, die ihn dazu brachte aus seiner ungemein bequemen Sitzhaltung aufzustehen. Der Mitarbeiter rückte seinen Helm zurecht, wischte sich eine Schweißperle von der Stirn und wirkte freundlich und hilfsbereit. Ob man denn etwas bräuchte? Das sei ja schon etwas eigenartig. Ob es einem gut gehe? Man könnte problemlos einen Arbeitsanzug besorgen. Nein, das würde gar keine Umstände machen. Und dann kamen sie auch schon von allen Seiten auf Henrik zu und halfen ihm in seinen neuen Arbeitsanzug, erklärten ihm geduldig wie seine Ausrüstung funktionierte, führten ihn durch seinen Arbeitsplatz, zeigten ihm sein Bett, die Kantine und die Toiletten. Es waren keine drei Stunden vergangen, als sich Henrik dabei zusah, wie er an einer komplizierten Maschine mit wenigen Handgriffen in Windeseile einen Stuhl nach dem anderen fertigte, die sein Kollege Herrmann, auf Lastwagen lud. Hier war also sein Platz. Das begriff er sofort. Und es gab daran auch nicht den geringsten Zweifel. Das Essen war gut, er schlief gut und viel, arbeitete den ganzen Tag und wurde getragen aus einer Wolke aus purer Nützlichkeit. Hier machte alles Sinn. Jeder kannte seinen Platz. Jeder Handgriff saß. Keiner beschwerte sich. Und vor allem… all diese wunderbaren Stühle! Ja, es machte ein gutes Gefühl produktiv, eingebunden und aufgehoben zu sein. Und Henrik war sich absolut sicher, hier, glücklich und zufrieden den Rest seines Lebens zu verbringen, als er eines Nachts aufwachte und sich seine Gedanken immerzu um das gleiche Wort drehten. „Entsorgungspresse“. Dieses Wort machte irgendwie keinen Sinn. Er hatte es schon oft gehört. Immer wieder erwähnten Kollegen von ihm diese Entsorgungspresse, doch er konnte sie sich nicht vorstellen. Was wurde entsorgt? Was wurde gepresst? Und als er am nächsten Morgen seinem Vorgesetzten vertrauensvoll sein Herz ausschüttete, wurde er natürlich sofort dorthin versetzt. Zur Presse. Man müsse lieben was man tue und jeder solle sich selbst finden und dort einbringen, wo er der Gemeinschaft höchsten Nutzen bringe. Das leuchtete Henrik ein. Die Fahrt dauerte keine zwanzig Minuten und die Einweisung in seine neue Arbeit ging ähnlich schnell wie beim ersten Mal und bestand darin, Stühle, die von einem Lastwagen angeliefert wurden entgegenzunehmen und in eine Pressvorrichtung zu geben. Daraus würde Humus gemacht, der dem Waldboden untergemischt werden würde. Aber als er einen Kollegen entrüstet befragte, welchen Sinn es machte Stühle erst mühsam herzustellen, um sie anschließend zu Humus zu verarbeiten, nahm ihn plötzlich ein kleiner, Strohblonder Junge bei der Hand, und führte ihn bestimmt durch ein paar Türen in einen Raum mit einem merkwürdig geformten Spiegel, der ihn unwiderstehlich anzog. Zwei universelle Ordnungen gingen blitzschnell ineinander über. Sekunden später fand sich Henrik in einem langen Gang wieder. Lang war eigentlich untertrieben, dessen Ende schien sich in der Unendlichkeit zu verlieren. Alles war in dunkelrotes Licht getaucht, die Wände waren mit Plüsch überzogen und alle paar Meter gab es Türen, auf denen fremdartiges Symbolwirrwarr heftete. Hin und wieder öffnete sich eine der Türen und junge Leute, die nur mit einem Handtuch bekleidet waren, als kämen sie gerade aus der Sauna, liefen ein Stück, um hinter einer anderen Türe zu verschwinden. Henrik war das unheimlich. Er lief eine Weile und kam an eine Kreuzung, an der zwei dieser unendlich langen Plüschgänge aufeinander trafen. Er bog ab und lief ein paar Stunden ziellos herum. Jede siebzehnte Türe hob sich farblich von den anderen ab. Keiner der seltsamen Saunabesucher sprach ihn an. Und obwohl Henrik keinerlei Bedürfnis verspürte durch eine der Türen zu gehen, befremdliche Geräusche schienen daraus zu dringen, gab er sich einen Ruck, öffnete eine und sah hinein. Darin hatten gerade zwei Saunabesucher Sex. Peinlich berührt schloss er leise die Türe und irrte weiter durch die Gänge. Ab und zu öffnete er wieder eine der Türen und fand überall das gleiche Bild. In allen Räumen hatten Saunabesucher lautstarken Sex. Nur nicht in den Räumen hinter den siebzehnten Türen. Die waren etwas größer und es standen Podeste darin, wie man sie bei Siegerehrungen bei Olympiaden verwendet. Dort ließ er sich eine Weile nieder und schlief ein. Geweckt wurde er von einem abrupten Ansturm von Saunabesuchern, die förmlich den Saal fluteten und alle versammelt, in einem bizarren Ritual offenbar eine Art Siegerehrung des potentesten Pärchens vollzogen, die kreischend eine Glaskugel überreicht bekamen und sich anschließend vor jubelnder Menge gegenseitig ihre Geschlechtsteile mit Leuchtfarbe einrieben. Dann ertönte ein Geräusch, was Henrik an den Gong aus seiner Volksschule erinnerte und der Saal leerte sich so schnell, wie er sich gefüllt hatte und ein Strohblonder Junge streckte ihm seine Hand entgegen. Zwei universelle Ordnungen gingen blitzschnell ineinander über und Henrik fand sich wieder in einer unendlichen Krankenhauswelt, in der alle Menschen zugleich weiß uniformierte Ärzte als auch Hypochonder waren. Viele davon befanden sich paarweise eingesperrt in mobilen Gondeln, der Therapeut saß, der Patient lag und auf Knopfdruck konnten sie ihre Rollen und Körperhaltungen austauschen, so dass sie sich bis in alle Ewigkeit in einem Ping-Pong-Verfahren wechselseitig therapierten. Und als einer von Henriks Patienten während eines Hirnchirurgischen Eingriffs aus der Narkose aufwachte, einfach so aufstand und ihn mit Nachdruck aufforderte sich seine Schädeldecke aufzusägen, griff ein kleiner Junge nach seiner Hand und zwei Ordnungen gingen blitzartig ineinander über und Henrik war auf einmal der weiseste aller Affen, die im Kreis sitzend auf den fortschrittlichsten aller Supercomputer einredeten, um ihn davon zu Überzeugen, innerhalb eines zweiten, baugleichen Supercomputers, ein Pan-Intelligentes Wesen frei zu schalten, dass nicht nur die letzten Probleme der Welt lösen sollte, sondern auch diese ungenügende Welt schlagartig auf eine Metaebene transformieren werde, um  endlich und endgültig die Primitivität von biologischen Intelligenzen zu überwinden und mit einem sauberen Neuanfang Punkte im innergalaktischen Ranking zu sammeln, um der unausweichlichen Vernichtung doch noch auszuweichen. Billionen… einfach alle Augenpaare der Welt, waren mittels Fernsehübertragung auf den Kreis der Affen gerichtet und alle Affenaugenpaare waren wiederum auf Henrik gerichtet. Henrik zitterte. Die Nerven zerfetzende Stille war unerträglich, seine innere Spannung mehr als schmerzhaft. Es lag nun in seiner Verantwortung alles, die Welt und sich selbst zu beenden, um etwas neuem, höherem Platz zu machen und er wusste er würde es tun. Er war der einzige, der das konnte. Und als er mit einem resignierenden Senken des Kopfes, das alles in Gang setzende und absolut irreversible Zeichen zur Machtübergabe gab, wurde Henriks Welt durch und durch leer und schwarz. Nur ein kleiner, Strohblonder Junge schwebte noch über ihm und sprach: „Versuche nicht den Raum zu teilen und lebe alles was du bist. Wer Du bist, weißt du selbst am besten. Und wenn wieder jemand zu dir kommt, um dich für deinen nützlichsten Teil von deinem Rest zu trennen sage ihm…“ Zwei Ordnungen gingen blitzartig ineinander über, es wurde hell und Henrik sagte: „Neee, lass ma’… iss mir jetzt nich’ nach!“ Und der fremde Mann im schmutzigen Fellumhang runzelte die Stirne, grunzte verächtlich und lief zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Henrik saß vergnügt, zusammen mit seiner Sippe am Lagerfeuer und grillte sich ein schönes Stück des Hirschen, den die Männer heute mit viel Mühe mit Speeren erlegt, transportiert und Feuersteinen zerlegt hatten. Die Frauen sangen und hatten einen großen Topf Beeren gebracht und die Kinder jauchzten und tollten am Fluss. Es wurde Herbst und Henrik hatte sich noch niemals in seinem Leben so echt gefühlt. Es war ein einfaches Leben. Ein Leben, in dem Hunger und Durst, Sonne und Kälte und vor allem die Gemeinschaft den Ton angab. Zum ersten Mal war er ganz im Reinen mit sich und der Welt. Manchmal dachte er noch an sein altes Leben im neuen Büro. Doch zurück wollte er auf keinen Fall und aus wahrscheinlich diesem Grund sah er den Strohblonden Jungen auch nie wieder. Die Ordnung der Welt hatte sich gefunden.

 


Apr 2 2009

gertrude zimmermann

dgfhdfg

      1. http://www.enzocage.de/mp3/bloghouse/enzo_cage_gertrude_zimmermann.mp3

Dez 22 2007

das lächeln